Seit dem Abzug der russischen Streitkräfte ist die Schule № 71 ein Lost Place. Über Jahrzehnte sind hier Generationen von sowjetischen Kindern in die Schule gegangen.
Es ist ein trüber Sommertag und auf der Hauptstraße rauscht der Verkehr vorbei. Kaum jemand würdigt dem imposanten Gebäude mit dem gelben Anstrich eines Blickes, das sich hinter einem alten, rostigen Eingangstor präsentiert. Seit Jahrzehnten wartet es darauf, dass wieder Leben einzieht, denn bis zum Leerzug in den 1990er Jahren ging es dort außerordentlich lebendig zu.
In der DDR gab es zahlreiche Orte, an denen sich eine hohe Zahl von stationierten Sowjetsoldaten konzentrierten. Da die höheren Ränge die Möglichkeiten hatten mit ihren Familien in der DDR zu leben, gab es in und um den Kasernen auch ein ziviles Leben – meist jedoch abgeschirmt vom Rest der Welt in sowjetischen Sperrgebieten.
Neben Einkaufsläden (russ. „магазин“, Magasin) und Kultureinrichtungen zählten dazu auch Kindergärten und Schulen. Die Schule № 71 war eine große Schule für sämtliche Jahrgänge, die ab den 1950er Jahren in einem ehemaligen deutschen Offizierskasino einer alten Garnisonstadt eingerichtet wurde. Während es in der Region mehrere sowjetische Grundschulen gab, war die Schule № 71 die weiterführende Schule für die gesamte Region, sodass es hier Hunderte Schülerinnen und Schüler gab. An Schultagen kamen sie aus allen Himmelsrichtungen in diesen sowjetischen Teil einer brandenburgischen Kleinstadt.
Noch heute lassen sich im Gebäude zahlreiche Spuren jener Zeit finden. Schautafeln behandeln Aspekte der Landwirtschaft, Mathematik oder des Militärs. Eine Schautafel thematisiert die nukleare Bedrohung im Kalten Krieg (die v.a. vom „imperialistischen Lager“ ausgehe), die es erforderlich mache zu lernen, wie man sich selbst und die eigene Familie davor schützen könne.
Trotz der abgebildeten Schreckensszenarien des Kalten Krieges liegt eine Atmosphäre von Schwermütigkeit in den Räumen und Fluren, bei der Vorstellung, wie einst Kinder und Teenager durch das nun leere Gebäude tobten oder auf dem Schulhof spielten und ihre Pausen verbrachten. In einem Klassenraum sind Birken an die Wand gemalt – Symbol für die endlosen Weiten der sowjetischen Taiga. Wie hat sich wohl das weitere Leben der Schülerinnen und Schüler gestaltet, nachdem sie in alle Winde verstreut wurden?
In den 1970er Jahren wurde neben dem Hauptgebäude ein Anbau errichtet, der über einen Gang verbunden wurde. In diesem zweigeschossigen Anbau befand sich eine große Turnhalle, da der Sportraum im alten Offizierskasino nicht genügend Platz bot. Sprossenwände, die Halterungen für die Basketballkörbe und Piktogramme mit boxenden und tanzenden Sportlern sind bis heute erhalten geblieben. In der Turnhalle fanden jedoch nicht nur der Sportunterricht statt, sondern auch Feierlichkeiten und Zeugnisausgaben.
Auf einem Foto im Internet aus dem Jahr 1994 sieht man die Schülerinnen und Schüler der 11.Klasse, die der letzte Jahrgang der Schule waren. Der Abzug der nunmehr russischen Truppen stand im Sommer jenen Jahres vor dem Abschluss. Die Kleidung und Frisuren der jungen Erwachsenen lassen die Mode der 1990er Jahre deutlich erkennen. Demgegenüber zeigen Bilder aus den 1950er Jahren junge freudestrahlende Erstklässler in Militäruniformen.
Gelegentlich besuchen Ehemalige die Schule, um an den Ort zurückzukehren, wo sie in ihrer Kindheit und Jugend prägende Jahre verbrachten.
Weitere Lost Places in Brandenburg sowie Stadtführungen und Ausflüge in die Region zur sowjetischen Geschichte gibt es bei “Berlins Taiga”.
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